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Negra Mária 'Milonga candombe'

T:3:01; bpm: 109

Lucio Demare (08.10.1941)
Musik:     Lucio Demare
Text: Homero Manzi (1907 – 1951, Tango-Poet, Drehbuchautor, Revolutionär)
Voc:     Juan Carlos Miranda

Aufnahmen:
Lucio Demare (1941/ Miranda)
Osvaldo Fresedo (1941/Roldán)
Mercedes Simone (1941)
Libertad Lamarque (1941)
Armando Pontier (1961/Carlos Maidana)


Negra María fasziniert bis heute. Dutzende Bands verschiedenster Genres präsentieren ihre Coverversionen auf Youtube, zeigen, wie sie diesen Song interpretieren, der prall gefüllt ist mit Schönheit, Spannung, Gefühl und Traurigkeit.


Trio Argentino (Demare, Fugazot, Irusta) - 1946


Und als Tango-Jazzrock-Fusion mit Hugo del Carril (1976)



Susana Rinaldi - 1976


María José Demare
María José Demare ist die Tochter von Demares Bruder, dem Regisseur Lucas Demare. Nach internationaler Karriere (u.a. im Musical HAIR) begeistert sie seit den 90ern mit Tango canión


Las Bordonas - 2018



Doch was ist eine Milonga Candombe? Ein Blick in die Geschichte hilft.


Eine der Wurzeln des Tango ist die alte Candombe: rhythmische, mit Trommeln gespielte Musik der schwarzen Bevölkerung, die zeitweise fast ein Drittel der Einwohner von Buenos Aires stellte, jedoch durch Epidemien, Kriege, Rücksichtslosigkeit und Armut in den Jahren vor 1900 bis zur Bedeutungslosigkeit dezimiert wurde.


Milonga hingegen war ab Ende des 19. Jahrhunderts auf der Gitarre vorgetragene, eher ländlich orientierte Volksmusik herumziehender Sänger, genannt Payadores. Langsamer gespielt entwickelten sich daraus zu Beginn des 20. Jahrhunderts unter anderem die ersten Tangos. Mit Milonga bezeichnete man in den nächsten Jahrzehnten vielfach eher eine schnellere Spielweise und weniger ein Genre.


Doch dann komponierte der Pianist Sebastián Piana zusammen mit dem Dichter Homero Manzi eine Nummer, die ein ganz neues Genre begründete. Mercedes Simone sang als erste die Milonga sentimental. Doch berühmt wurde sie 1933 durch Francisco Canaro. Er arrangierte das Stück für ein großes Orquesta Típica und machte Milonga sentimental zu seinem Erkennungszeichen. Milonga als neuer Tanzstil war geboren.


Die alte Milonga nannte man nun Milonga campera (ländliche Milonga), die tanzbare Orchesterversion heißt nun einfach Milonga, oder erhält zur Unterscheidung das Attribut ciudadana bzw. urbana (städtisch).

Ende der 30er-Jahre war es wiederum Homero Manzi, der in den Texten von Milongas wie Pena Mulata, Papá Baltasar und eben Negra María Themen aus der Kultur der Schwarzen aus dem Ende des 19. Jahrhunderts lebendig werden ließ. Meist standen Elend und Leid im Vordergrund. Und auch die Komponisten, die eng mit den Textern zusammenarbeiteten, besannen sich auf die alte Candombe der schwarzen Bevölkerung, indem z.B. Sebastián Piana oder Lucio Demare zu Manzis Texten Begleitungen komponierten, die viele musikalische Elemente der Candombe wie Percussion-Instrumente, betont repetitive Phrasen, eine eigene Harmonik oder Chor-Gesänge aufnahmen, ohne die rhythmischen Pfade der Milonga ciudadana gänzlich zu verlassen.


Die Tänzer waren begeistert, Milonga candombe war der große Hit. Weitere populäre Beispiele für Milonga candombes der 40er wie Azabache (1942, Berón) oder Pobre Negra (1943, Iriarte) findet man bei Caló. Von Demare stammen Negra María , Carnevalito und Luna (1943, Berón). Candombe-Feeling passt natürlich auch zu Canaro. Schon 1934 entstand Negrita (Galán), später ließ er unter anderem Candombe und La Rumbita Candombe (beide 1943, Roldán) produzieren. Der König des Candombe, der die Pfade der Milonga aber schon wieder verlassen hatte, war der Sänger Alberto Castillo, der seine doch ein wenig zur Folklore verkommenen Shows mit Gruppen von schwarzen Tänzern garnierte.


Sehr große Popularität genoss und genießt die Candombe in Uruguay bzw. in Montevideo, wo der Anteil von Menschen afrikanischer Herkunft sowohl um 1940 als auch heute sehr viel größer ist. Entsprechend ist auch die afrikanische Kultur insgesamt präsenter, die Candombe ist heute ein wichtiger Teil der Identität Uruguys. Und so gibt es auch zahlreiche schöne Milonga candombes aus Uruguay. Erfolgreich war aber vor allem Donatos ehemaliger Sänger Romeo Gavioli mit eigenem Orchester (Borocoto Chas Chas, 1942) oder mit Ángel Sica (Rebeldía) oder Emilio Pellejero (Mi vieja linda, 1941) sowie Jose Tinelli (Milonga Nueva, 1938)

Zu den traurigen Versen von Negra María wurde Homero Manzi durch eine wahre Geschichte im Freundeskreis inspiriert. Doch in seiner bewegenden Bearbeitung stehen diese Verse exemplarisch für das Elend der Schwarzen. Manzi, mit dessen Lebensgeschichte man ein eigenes Buch füllen kann, starb mit nur 44 Jahren. Als Texter inspirierte er die größten Komponisten seiner Zeit, darunter auch Troilo, mit dem er Sur (1949) schrieb. Troilo meinte, in Manzis Versen seien die von ihm dazu komponierten Melodien alle schon enthalten gewesen.




Höranleitung

Mit vom ganzen Orchester parallel gespielten, rhythmisch anspruchsvollen komplexen Läufen und scharf gespieltem Stakkato und Pizzicato werden ein treibender Candombe-ähnlicher Rhythmus und die Melodie etabliert. Demare am Klavier ergänzt und verziert hier – wie auch im Abschlussteil – mit wunderbaren kleinen Soli.

Der Sänger Miranda setzt bei 0:42 ein. Ab dem ersten Takt verkörpert seine Stimme die große Hoffnung und Begeisterung der frisch gebackenen Eltern, doch auch das tragische Ende webt er von Anfang an in seine Phrasierung mit ein, indem er die letzte Silbe einzelner Phrasen leicht melancholisch in die Länge zieht.


Der launige Chorgesang (z.B. 1:03, 1:32) ruft zunächst wieder Candombe-Karnevals-Stimmung hervor, die aber durch die Moll-Harmonien etwas gedämpft ist. Und am Ende ist es gerade der Chor, der mit leiser werdenden und in tiefere Lagen abdriftenden Seufzern den viel zu frühen Tod der kleinen ‚Schwarzen Maria‘ bedauert. Bei 2:00 und 2:32 schwellen die Geigen in hohen Lagen wie Verzweiflungsschreie an und deuten so das tragische Ende schon an.


Text (1941)

 

NEGRA MARIA (orig.)

Bruna, bruna

nació María

y está en la cuna.

Nació de día,

tendrá fortuna.

Bordará la madre

su vestido largo.

Y entrará a la fiesta

con un traje blanco

y será la reina

cuando María

cumpla quince años.

NEGRA MARIA (deutsch)

Bruna, bruna

Maria wurde geboren

und sie liegt in der Wiege.

Sie wurde am Tag geboren,

sie wird Glück haben.

Die Mutter wird sticken

ihr langes Kleid.

Und sie wird beim Fest auftauchen

in einem weißen Gewand

und sie wird die Königin sein

wenn Maria

fünfzehn Jahre alt wird.

Te llamaremos, Negra María...

Negra María, que abriste

los ojos en Carnaval.

Ojos grandes tendrá María,

dientes de nácar,

color moreno.

¡Ay qué rojos serán tus labios,

ay qué cadencia tendrá tu cuerpo!

Vamos al baile, vamos María,

negra la madre, negra la niña.

¡Negra!... Cantarán para vos

las guitarras y los violines

y los rezongos del bandoneón.

Te llamaremos, Negra María...

Negra María, que abriste

los ojos en Carnaval.

Wir werden dich Schwarze Maria nennen...

Negra María,

die im Karneval das Licht der Welt erblickte.

Maria wird große Augen haben,

Zähne wie Perlmutt,

von brauner Farbe.

Oh, wie rot werden deine Lippen sein!

Oh, wie wird dein Körper vibrieren!

Lass uns zum Tanz gehen, komm, Maria,

schwarz die Mutter, schwarz das Tochter.

Schwarz!... Sie werden für dich singen

die Gitarren und die Geigen

und das Grummeln des Bandoneons.

Wir nennen dich Negra María...

Negra María, die das Licht der Welt

erblickte im Karneval.

Bruna, bruna

murió María

y está en la cuna.

Se fue de día

sin ver la luna.

Cubrirán tu sueño

con un paño blanco.

Y te irás del mundo

con un traje largo

y jamás ya nunca,

Negra María, tendrás quince años.

Te lloraremos, Negra María...

Negra María, cerraste

los ojos en Carnaval.

Bruna, bruna

Maria ist gestorben

Und sie liegt in der Wiege.

Sie starb noch Tag,

sah nicht den Mond.

Sie werden deinen Schlaf zudecken

mit einem weißen Tuch.

Und du wirst die Welt verlassen

in einem langen Anzug

und nie, niemals,

Negra Maria, wirst du fünfzehn Jahre alt sein.

Wir werden um dich trauern, Negra María...

Negra María, du hast deine Augen

deine Augen im Karneval geschlossen. 

¡Ay qué triste fue tu destino,

ángel de mota,

clavel moreno!

¡Ay qué oscuro será tu lecho!

¡Ay qué silencio tendrá tu sueño!

Vas para el cielo, Negra María...

Llora la madre, duerme la niña.

Negra... Sangrarán para vos

las guitarras y los violines

y las angustias del bandoneón.

Te lloraremos, Negra María...

Negra María, cerraste

los ojos en Carnaval.

Oh, wie traurig war dein Schicksal,

Engel von Mota,

braune Nelke!

Oh, wie dunkel wird dein Bett sein!

Oh, wie still wird dein Schlaf sein!

Du kommst in den Himmel, Negra María...

Die Mutter weint, das Kind schläft.

Schwarz... Sie werden für dich bluten

die Gitarren und die Geigen

und die Qualen des Bandoneons.

Wir werden um dich weinen, Negra María...

Negra María, du bist von uns gegangen

im Karneval.